Digitale Nomaden: Arbeiten wo andere Urlaub machen
Es ist der Traum, den viele träumen. Doch nur wenige schaffen es, ihn zu verwirklichen. Die Rede ist von Leuten, die dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Früher war das bestenfalls Künstlern vorbehalten. Doch die Welt hat sich geändert und die Digitalisierung hat einen völlig neuen Typ von Freiberuflern geschaffen. Man nennt sie die digitalen Nomaden. Aber wie jeder Lebensstil hat auch das moderne Nomadentum seine Vor- und Nachteile.
Mein Freund Alain war Franzose und arbeitete als Übersetzer. Er lebte mit seiner deutschen Frau in der Pfalz. Das heißt, eigentlich lebten die beiden nur selten dort, denn am liebsten hielten sie sich in der Provence auf. Dort gab es nämlich ein kleines Ferienhaus und wenn immer es passte, packten sie ihre Notebooks in den Citroen und fuhren in Richtung Autoroute. Das war irgendwann Anfang der 90er Jahre. Zu einer Zeit also, in der nur ein paar Nerds vom Internet sprachen. Damals, als die Deutsche Post das Telefon noch fest im Griff hatte und Daten bestenfalls über ein kreischendes Modem übertragen werden konnten. Den Begriff digitale Nomaden gab es damals noch nicht. Aber genau das waren Ina und Alain und zählten vermutlich zu den Ersten ihrer Art.
Irgendwie habe ich sie immer beneidet, wenn sie mal wieder ein paar Wochen untergetaucht waren und dort arbeiteten, wo es mich öfter im Urlaub hinzog. So möchte ich auch gerne leben, träumte ich und dachte an meine Kunden, die das vermutlich nicht mitmachen würden. Die waren nämlich allesamt bodenständige Schwaben und gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass ein Texter in der Nähe wohnt, damit man sich zum Briefing schnell mal mit ihm treffen kann.
Mit dem Internet kam die Unabhängigkeit
Irgendwann war das Internet auch im Geschäftsleben angekommen. Die Grünen hatten zwar damals Angst, dass wir alle "verdatet" werden und sprachen sich dagegen aus, "Daten über das Telekommunikationsnetz zu schicken". Doch das Digitalzeitalter ließ sich nicht mehr aufhalten. Das Faxgerät mit seinem seltsamen Papier von der Rolle wurde von eMails abgelöst und die konnte man mit etwas Bastelei sogar von unterwegs über das Handy verschicken. Ich erwarb auf der Ostseeinsel Fehmarn ein kleines Ferienhaus und begann, es Alain nachzumachen. Morgens erst mal eine Runde schwimmen im Meer, dann ein paar Stunden arbeiten und am Nachmittag noch eine Tour mit dem Rad über den Deich. Digitale Nomaden gab es zwar immer noch nicht, aber ich mochte dieses ständige hin und her zwischen meiner schwäbischen Heimat und der Küste.
Alain hat irgendwann seine Bleibe zwischen den Rebstöcken der Pfalz aufgegeben und ist komplett in die Provence umgezogen. Nach zehn Jahren Pendeln zwischen Fehmarn und Stuttgart begann auch ich allmählich zu begreifen, weshalb. Sieben Stunden Autobahn nach Fehmarn fühlten sich irgendwann einfach nicht mehr wie eine Fahrt in den Urlaub an, sondern waren nur noch lästig. Dazu kam, dass die Kundenbesuche immer seltener wurden. Ein Teil wurde durch Telefonkonferenzen ersetzt. Andere wurden schlicht und einfach überflüssig, weil so gut wie alle Informationen in digitaler Form vorlagen und ich nicht mehr zum Kunden fahren musste, um Papier abzuholen. Es gab also eigentlich keinen Grund mehr, in Kundennähe zu wohnen. Und damit auch keine Veranlassung, ständig zwischen zwei Standorten zu pendeln. Was mich schließlich zu der Entscheidung veranlasste, komplett auf meine Ostseeinsel zu ziehen.
Der Traum vom digitalen Nomaden war damit ausgeträumt. Die Idee, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen, erschien mir jedoch weiterhin überzeugend. Zumindest für ein paar Jahre. Dann nämlich wurde mir zunehmend bewusst, dass es eine Sache ist, auf einer Insel Urlaub zu machen. Dort ständig zu leben, ist jedoch eine völlig andere Geschichte. Ich merkte nämlich irgendwann, dass Fehmarn ganz einfach verdammt weit weg von allem ist. Die nächste ernstzunehmende Stadt ist Hamburg und die zwei Stunden Fahrtzeit dorthin muss man erst einmal hinter sich bringen, wenn man zum Beispiel ins Theater will, ins Konzert oder in die Oper. Kultur findet nämlich auf dem norddeutschen Flachland faktisch nicht statt.
Digitales Nomadentum so oder so
Das ist der Grund, weshalb auch die Episode Fehmarn mittlerweile Vergangenheit ist. Ich lebe zwar immer noch am Meer und in einem Ort, in dem es vor allem im Sommer mehr Feriengäste gibt als Einheimische. Aber meine kulturellen Bedürfnisse kommen jetzt nicht mehr zu kurz. Dafür habe ich jetzt eine andere Form des digitalen Nomadentums entdeckt. Ich leiste ich mir nämlich jetzt das Vergnügen, meine Siebensachen öfter mal im Wohnmobil zu verstauen und irgendwo hinzufahren, wo ich bisher noch nicht war. Die Arbeit muss deswegen nicht liegenbleiben. Mein neuester Notebook hat nämlich seine eigene SIM-Karte und geht automatisch online, sobald das Mobilfunknetz erreichbar ist. Kürzlich stand ich mit Blick auf den Titisee im Schwarzwald und habe an einer Website gearbeitet. Im Sommer bin ich mit meiner Liebsten in den Alps de haute Provence gewandert, um abends noch einen Artikel für den Blog eines Kunden zu schreiben. Urlaub im herkömmlichen Sinne kennt ein digitaler Nomade eben nicht. Auch wenn es sich nur um einen Teilzeit-Nomaden handelt.
Wobei ich vor ein paar Wochen auf einer Tagung des Texterverbandes die richtigen Nomaden unter den Kollegen getroffen habe. Einer hat mehrere Monate gearbeitet, während er durch Indien gereist ist. Ein anderer hat auf einer Japanreise seine heutige Frau kennengelernt und ist gleich mal ein Jahr dort geblieben. Die Textaufträge aus Deutschland liefen währenddessen weiter. Und dann war da noch das junge Paar, das im Campingbus durch die Lande tourt und sich seinen Lebensunterhalt unterwegs am Notebook verdient.
Sie alle profitieren von der Tatsache, dass vor allem für Kreative die neue, digitale Arbeitswelt für einen völlig neue Freiheit gesorgt hat. Nicht nur für einen Texter, Übersetzer und Fachjournalisten ist es so ziemlich egal, wo er seine Texte in die Tastatur hämmert. Da kann man sich ruhig auch ein paar Freiheiten erlauben, die Anderen verschlossen bleiben. Schon allein deshalb, weil das Arbeitsergebnis schließlich nicht darunter leiden kann, wenn man da wohnt, wo sich die Seele wohlfühlt. Und wenn man da lebt, wo der Geist die nötige Inspiration findet.