Home Office kann nicht jeder

Eigentlich klingt es doch gut: Man arbeitet von zu Hause aus, spart sich den täglichen Weg von und zum Büro, legt seine Arbeitszeiten selbst fest und hat keinen Chef, der einem ständig über die Schulter sehen kann. Außerdem kann man sich besser konzentrieren und erreicht damit mehr in weniger Zeit. Dennoch ist das Arbeiten im Home Office nicht für jeden ideal und das hat konkrete Gründe.

In der traditionellen Arbeitswelt läuft vieles fremdbestimmt ab. Man muss morgens innerhalb eines bestimmten Zeitfensters am Schreibtisch erscheinen, hat eine klar definierte Mittagspause und muss eine bestimmte Zeit absitzen, damit alle zufrieden sind. Privates Surfen im Internet ist verboten. Auch private eMails werden nicht gern gesehen und wenn gerade nicht so viel los ist, muss man trotzdem so tun, als wäre man voll beschäftigt. 

Im Home Office fällt das alles weg und es eröffnen sich Freiräume, die eigentlich jeder zu schätzen weiß. Da gibt es zum Beispiel keine genau festgelegten Arbeitszeiten. Auch weiß niemand, ob man nun eine halbe oder zwei Stunden Mittagspause gemacht hat. Frühaufsteher können schon um sechs Uhr morgens am Computer sitzen. Nachteulen fangen eben erst um zehn an und arbeiten dafür entsprechend länger. Was zählt, ist das Ergebnis und nicht die Zeit, die man dafür gebraucht hat. 

Zwar setzen heute viele Unternehmen auf Eigenverantwortung und ergebnisorientiertes Arbeiten. Doch ein gewisser, wenn auch nur subtil ausgeübter Druck ist dennoch vorhanden. Man spricht dann von Firmenkultur und meint, dass bestimmte Verhaltensweisen einfach erwartet werden. Ein Freund von mir und Marketing-Leiter in einem mittelständischen Unternehmen sagte mir einmal: „Wir haben hier zwar keine festgelegten Arbeitszeiten. Aber irgendwie weiß jeder, dass es besser ist, morgens um acht im Haus zu sein und sich nicht allzu oft einen Nachmittag freizunehmen.“

So mancher Mitarbeiter hat sich im Laufe der Zeit an solche Gepflogenheiten gewöhnt und durchaus ein Problem damit, wenn er plötzlich zu Hause allein im Office sitzt und der sanfte Druck, der bisher seine Arbeitswelt bestimmt hat, nicht mehr zu spüren ist. Das Ergebnis ist dann, dass eine gewisse Schlamperei einreißt. Hat man abends zu lange gebechert, schläft man sich am nächsten Morgen aus und beginnt den Arbeitstag eben erst um zehn. Muss man etwas einkaufen, tut man es eben am Nachmittag, wenn an der Kasse keine Schlage zu erwarten ist. 

Ablenkung statt Konzentration

Auch die vielen kleinen Ablenkungen sind zu Hause oft viel präsenter als am Schreibtisch im Großraumbüro. Ein interessant erscheinender Artikel wird eben sofort gelesen und nicht erst irgendwann nach Feierabend. Eine private eMail beantwortet man umgehend, damit die Sache aus dem Kopf ist. Zeit für Social Media ist eigentlich immer und nicht nur abends auf der Couch. Auch zum spontanen Surfen im Internet nimmt man sich Zeit, weil ja jetzt keine Gefahr mehr besteht, dass es einem neugierigen Kollegen auffällt. 

Das Ergebnis ist, dass die Grenzen zwischen privat und beruflich immer mehr verwischen. Bis sich irgendwann der ganze Tag wie Freizeit anfühlt, und man trotzdem eigentlich immer am Arbeiten ist. Am Ende muss dann immer häufiger das Wochenende herhalten, um das nachzuholen, was während der Woche irgendwie zu kurz gekommen ist. Und man wird das Gefühl nicht los, dass man eigentlich ständig im Stress ist, während alles länger dauert als früher und man sich auf nichts mehr richtig konzentrieren kann. 

Früher ist es auch nie vorgekommen, dass die Familie plötzlich am Schreibtisch stand und davon ausging, dass man alles stehen und liegen lässt, nur um ein scheinbar ganz dringendes Problem zu lösen, das eigentlich auch bis zum Abend Zeit gehabt hätte. Aber seitdem das Office gleich nebenan ist, fühlt sich jeder dazu berechtigt, einfach hereinzuplatzen, um eine spontane Frage loszuwerden. Man muss ja nur ja oder nein sagen, so die Denke. Das hält schließlich nicht von der Arbeit ab.

Tut es aber doch, denn der gerade laufende Gedankengang ist erstmal unterbrochen und wird in dieser Form auch nie wiederkommen. Das kennen vor allem kreativ arbeitende Menschen, die besonders häufig unterbrochen werden, denn kreative Arbeit sieht man nicht. Also denkt die Umwelt, der sitzt einfach nur da, also hat er gerade nichts zu tun, folglich kann man ihn auch ansprechen. In Wirklichkeit arbeitet der Kopf gerade auf Hochtouren und es entstehen die Gedanken, die später konkrete Form annehmen werden. 

Mit anderen Worten: Arbeiten im Home Office kann weitaus stressiger sein als die Arbeit am fernen Schreibtisch in irgend einem Bürogebäude. Wobei wir uns hier mal auf die Brain Worker im Office beschränken, denn sie sind es ja, die sich für die Auslagerung ins Home Office am ehesten eignen. 

Die Kunst des Selbstmanagements

Ich arbeite mittlerweile schon ein paar Jahrzehnte im Home Office. Auch ich habe die Freiheiten genossen, die damit verbunden sind. Aber auch ich habe gelernt, dass es genau diese Freiheiten sind, die immer wieder Fallstricke legen und mit denen man bewusst umgehen sollte. Wobei man die Lösung mit einem Wort zusammenfassen kann: Selbstmanagement.

Wer nicht mehr von anderen vorgeschrieben bekommt, was er wann tun soll, der muss sich selbst organisieren. Das weiß jeder Freiberufler, der schon zu Hause gearbeitet hat, als es den Begriff Home Office hierzulande noch gar nicht gab. Aber das muss so mancher Angestellte erst noch lernen, den man zur Corona-Zeit nach Hause geschickt hat und der jetzt immer noch dort arbeitet, weil sich das eigentlich als ganz praktikabel erwiesen hat. 

Zeitmanagement

Das beginnt schon mal damit, dass man nicht alle Freiheiten nutzt, die ein Arbeiten im Home Office bietet. Zum Beispiel die Freiheit, selbst über die eigene Arbeitszeit bestimmen zu können. Auch der Home Worker braucht einen strukturierten Arbeitstag, wenn er sich nicht verzetteln will. Und dazu gehören feste Arbeitszeiten genauso, wie ein sauber geführter Kalender, dessen Termine gewissermaßen heilig sind und nicht ohne wirklich guten Grund verschoben werden dürfen. Wer viele Projekte im Auge behalten muss, sollte auch eine Projektverwaltung verwenden, die nichts vergisst und automatisch an fällige Aufgaben erinnert. 

Ich habe hier schon verschiedene Lösungen ausprobiert und bin schließlich bei Todoist gelandet, das ich in Verbindung mit dem Google Kalender einsetze. Dort erfasse ich spontane Ideen, die früher oft im täglichen Gedankengewitter untergegangen sind. Ich lege für alles ein Projekt an - von der Urlaubsplanung über das Schreiben eines Buches bis zu meinen laufenden Schreibjobs als Blogger, Journalist, Texter und Übersetzer. Ein Vergessen gibt es damit nicht mehr und der Kopf ist frei für die wirklich wichtigen Dinge.

Zum Zeitmanagement gehören übrigens auch feste Arbeitszeiten. Ich bin alles andere als ein Frühaufsteher. Also klingelt mein Wecker um acht. Dann nehme ich mein Tablet zur Hand und mache erst mal ein allgemeines Update. Das heißt, ich lese Nachrichten und eMails und werfe einen Blick auf die Termine und Aufgaben des Tages. Den Rechner fahre ich erst gegen neun hoch und steige schon mal in das Tagesgeschäft ein, während ich frühstücke. 

Informationsmanagement

Die permanente Ablenkung durch die tägliche eMail-Flut habe ich ganz einfach gelöst, indem ich in meinem Mail-Client eine ganze Liste an Filtern eingerichtet habe. Die eingehenden Mails landen seitdem zu 95 % automatisch in einem von 10 Postfächern. Ich muss also nicht mehr in einem übervollen Eingangskorb nach den wichtigen Nachrichten suchen, sondern muss nur gelegentlich einen Blick in die entscheidenden Postfächer werfen. Alles andere kann ich dann bei Gelegenheit erledigen. Auch das macht den Kopf frei.

Bedingt durch mein breites Arbeitsfeld werde ich natürlich ständig auf irgendwelche Artikel gestoßen. Ich nutze dafür vor allem Feedly, das ich genau auf meine Interessensgebiete eingestellt habe. Dort gucke ich jeden Morgen nach, was es Neues gibt. Ich lese auch die interessantesten Artikel sofort. Alle anderen kopiere ich in Pocket, wo sie dann so lange liegen bleiben, bis ich Zeit dafür gefunden habe. 

Ich muss also keinen Artikel mehr lesen, sobald er mir unter die Augen kommt, sondern kann das gezielt dann tun, wenn ich Zeit dafür habe. 

Artikel, die ich für besonders wichtig halte und dich ich als Referenz für später speichern möchte, landen in Evernote. Das ist meine Wissensdatenbank, in der ich strukturiert alles speichere, was mir aus geschäftlicher oder persönlicher Sicht wichtig erscheint. Die Verschlagwortung von Evernote ist einmalig und auch das Handling hat sich nach dem letzten Update grundlegend verbessert. 

Beziehungsmanagement

Die Beziehungen zu den Menschen, die einem nahestehen, sind sichtig und müssen bewusst gepflegt werden. Arbeiten im Home Office sorgt dabei zwar für mehr Nähe. Aber genau diese Nähe kann auch zu einem massiven Problem werden. Denn Arbeit ist nach wie vor Arbeit. Sie braucht Zeit und sie verlangt Konzentration. Wer beides zu Hause nicht findet, wird langsamer werden und schlechtere Ergebnisse abliefern. 

Wichtig ist daher, auch im Home Office ganz klar zwischen Beruf und Familie, Arbeit und Freizeit, Konzentration und Entspannung zu trennen. Eine geschlossene Bürotür muss daher eine klare Aussage haben: Zutritt verboten. Anklopfen ist tabu. Einfach eintreten erst recht. Ansprechen ist erst erlaubt, wenn sich die Tür öffnet und bewusst der Kontakt zu Freundin, Frau oder Familie gesucht wird. 

Arbeiten im Home Office ist eben nicht nur mit neuen Freiheiten verbunden. Es verlangt auch, dass man nicht nur sich selbst und seine Lebenssituation bewusst organisiert, sondern auch auch den Umgang mit Ressourcen wie Zeit und Informationen selbst in die Hand nimmt.