Weshalb ein Texter kein Ingenieur sein muss
Die Frage taucht immer wieder auf, wenn ich über Maschinen oder andere technische Systemen schreiben soll und meine Antwort stellt nicht immer zufrieden: Nein, ich habe nicht Maschinenbau studiert. Nein, ich habe auch kein Informatik-Studium. Nein, Germanistik war auch nie mein Schwerpunkt. Ich habe Marketing studiert und mache seit drei Jahrzehnten nichts anderes als Marketing-Kommunikation.
Trotzdem habe ich schon seitenlange White Paper getextet. Über Data Mining zum Beispiel. Oder über ganz spezielle Themen wie eigensichere Feldbus-Barrieren für den Ex-Bereich, Dynamic Arc Recognition and Termination und das Fieldbus Intrinsically Safe Concept. Das sagt Ihnen alles nichts? Dann geht es Ihnen genauso, wie es mir anfangs ging. Aber was man nicht weiß, kann man sich anlesen und was man nicht versteht, kann man sich erklären lassen. Dabei sind Entwicklungsingenieure eine unerschöpfliche Wissensquelle und ohne ihre Unterstützung würde ich vermutlich keinen vernünftigen Text zustande bringen. Aber Ingenieure sind selten in der Lage, ihr Wissen so auszuformulieren, dass die Zielgruppe versteht, worum es eigentlich geht. Und sie sind für technische Abhandlungen bekannt, bei denen man erst die Seite 23 gelesen haben muss, um die Seite 3 zu verstehen.
„Ich habe Ihren Text meiner Frau gegeben,“ schrieb mir einmal einer dieser Ingenieure und ergänzte: „Jetzt hat sie zumindest eine ganz gute Vorstellung davon, was ich den ganzen Tag so mache.“ Mich freute diese Reaktion, denn gerade dieser Ingenieur war anfangs äußerst skeptisch, ob ich als Nichtfachmann überhaupt einen brauchbaren Text zustande bringen würde. Es ging dabei um eine neuartige Technologie und einen Artikel für ein angesehenes Branchenmagazin. Er hatte sich selbst schon daran versucht, aber die PR-Abteilung meinte, dass man das „so nicht rausgeben kann“. Also wurde ich angeheuert, um das unverständliche Insiderdeutsch in einen verständlichen Fachartikel zu verwandeln.
Vor allem für Hightech-Unternehmen dient Marketing-Kommunikation vor allem dazu, die Kluft zwischen dem Know-how des Unternehmens und dem deutlich niedrigeren Wissensstand des Kunden zu überbrücken. Es geht also darum, technische Inhalte und komplexe Zusammenhänge auf das Kenntnisniveau der Zielgruppe herunterzubrechen. Und es geht um die Kunst, den Leser einer Broschüre, einer Website oder eines Blogartikels gezielt bei seinem Problem abzuholen, um ihn dann Schritt für Schritt zur Lösung zu führen.
Das funktioniert nicht, wenn man ihn von oben herab mit Fachbegriffen zutextet, um vor allem die eigene Kompetenz zu dokumentieren. Das erfordert eine zielgruppengerechte Kommunikation, die aus der Interessenslage des Lesers heraus geschrieben ist. Und die darf sich nicht darin erschöpfen, Ehrfurcht vor den Leistungen des eigenen Unternehmens zu erzeugen. Sie muss vor allem die Fähigkeit und Bereitschaft vermitteln, zusammen mit dem Kunden an dessen Problemlösungen mitzuwirken.
Dabei funktionieren Texte im Sinne von „wir sind die Größten“ vielleicht in Amerika. Europäische Adressaten reagieren darauf eher allergisch. Vor allem im B2B-Bereich will man nämlich keine Werbetexte lesen, sondern möglichst konkrete über Vorteile und Lösungswege informiert werden. Erfolgreiche Unternehmenskommunikation im digitalen Umfeld setzt daher auf ein nahtloses Zusammenspiel zwischen klassischen Werbeformen, einer informativ gemachten Website und themenbezogenen Fachartikeln.
Das kann man natürlich auch mit Bordmitteln leisten, denn es gibt überall Menschen mit Schreibtalent. Aber die wissen selten, dass ein Text für eine Broschüre anders klingen muss als ein Artikel für einen Branchenblog. Und von SEO haben sie meist nur rudimentäre Kenntnisse. Umso schöner ist es, dass wir Menschen alle mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind. Und dass wir uns herrlich ergänzen können, wenn Experten ihre Köpfe zusammenstecken und die richtigen Leute ein Team bilden.