Wer nach dem Wortpreis fragt, hat Kommunikation nicht verstanden
Die Arbeit eines Polizisten nach der Anzahl der Strafmandate zu beurteilen, die er ausgestellt hat, ist schlicht idiotisch - und wird dennoch so praktiziert. Genauso abwegig ist es auch, die Arbeit eines Texters an der Zahl der Wörter zu messen, die er am Tag produziert - und auch das ist weit verbreitet.
Er tauchte in einer Texter-Gruppe bei Facebook auf und hielt sich für ganz besonders schlau. Der „Auftraggeber“ hatte angeblich regelmäßige Textaufträge zu vergeben und rechnete genau vor, wie viel ein „fixer Texter“ damit im Monat verdienen könne. 4 Cents pro Wort erschienen ihm mehr als großzügig. Einschließlich Recherche natürlich. Und auch nur bei „voller Zufriedenheit des Kunden“.
Ein qualifizierter Texter, der Marketing, Germanistik oder etwas Vergleichbares studiert hat, klickt da natürlich nur belustigt weiter. Aber es gibt Leute, die sich tatsächlich auf solche Zahlenspiele einlassen. Und es gibt namhafte Agenturen, die der Meinung sind, Webcontent ist heute spottbillig und ein ganzes Heer an Textern wartet nur darauf, damit ein paar Euro verdienen zu können. Eine Denke, die auch bei Verlagen weit verbreitet ist. Zumindest werden in den Jobbörsen permanent Journalisten gesucht, was einen erheblichen Verschleiß erahnen lässt. Oder einen Mangel an Hochschulabsolventen, die bereit sind, für ein Einkommen zu arbeiten, das man beim Jobcenter schon fürs Nichtstun bekommt.
Zur Erinnerung: Verlage, das sind die Unternehmen, die früher bedrucktes Papier verkauft und vor allem an Anzeigen verdient haben. Es sind die Meinungsmonopolisten der Vergangenheit, die heute Fördergelder vom Staat beziehen und dafür Gefälligkeitsjournalismus liefern. Es sind die Bertelsmänner, die Facebook nach missliebigen Aussagen durchstöbern und die Faktenchecker, die darauf achten, dass sie die Einzigen sind, die Fake News verbreiten dürfen.
Aber zurück zum Thema Text, Preise und Kommunikation:
Ich habe mir mal einige Artikel vorgenommen, die ich in letzter Zeit getextet habe. Einige davon sind in Firmenblogs erschienen, andere kann man in Kundenzeitschriften nachlesen, oder sie wurden in branchenspezifische Fachmagazinen veröffentlicht. Die meisten davon bestanden aus 1.000 bis 1.500 Wörtern, wobei die Textlänge eigentlich wenig mit dem erforderlichen Zeitaufwand zu tun hat.
Wie geht ein Texter wie ich vor, um so einen Artikel zu erstellen? Welche Arbeitsschritte sind erforderlich und welcher Zeitaufwand steckt dahinter?
Zunächst einmal brauche ich ein Briefing. Das ist entweder eine Sammlung an Stichworten, eine vorhandene Präsentation oder irgendwelche anderen Dokumente. Ich habe es also mit einer Sammlung an unstrukturierten Informationen zu tun, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck angefertigt wurden. Die muss ich erst mal durcharbeiten, um mich einigermaßen schlau zumachen und zu verstehen, worum es eigentlich geht. Wenn das Thema komplex ist, nimmt allein dieser Vorgang gut 2 Stunden in Anspruch.
Meist sind beim Studium der Briefingungerlagen Fragen aufgetaucht, es gibt Wissenslücken oder ich habe noch Verständnisprobleme. Deshalb ist in aller Regel ein Telefonat mit dem Auftraggeber erforderlich, um alles zu klären und die Zielrichtung des Artikels festzulegen. Schließlich kann ein Texter nur über Dinge schreiben, die er selbst verstanden hat. Oft muss ich auch selbst im Internet recherchieren, um bestimmte Details besser zu verstehen. Zeitaufwand: noch einmal eine Stunde.
Beim Studium der Unterlagen, bei der Eigenrecherche und beim Briefinggespräch habe ich mir natürlich Notizen gemacht, um die entscheidenden Informationen zusammenzufassen. Die müssen in einem weiteren Schritt überarbeitet, zusammengespielt und strukturiert werden. Das Ergebnis ist schon mal ein grober Abriss des Artikels in Stichworten. Auch dafür brauche ich eine gute Stunde. Mindestens.
Das Schreiben des Artikels ist dann eigentlich nur noch Handwerk und Fleißarbeit. Soll er im Internet erscheinen, kommt noch erschwerend hinzu, dass der gesamte Text SEO-gerecht aufgebaut und formuliert werden muss. Konkret: Ich muss erst einmal eine Liste der entscheidenden Stichworte anlegen und diese dann an genau den richtigen Stellen in den Text einbauen. Zum Schluss muss ich den Text noch einmal komplett durchlesen, um den letzten Rundschliff vorzunehmen. Dabei geht es vor allem darum, Fehler auszuschalten, auf leicht verständliche Formulierungen zu achten und einen reibungslosen Lesefluss sicherzustellen. Am Ende sind gut vier Stunden verstrichen und der Text kann endlich zum Kunden.
Wenn Sie mitgezählt haben: Ein Artikel aus maximal 1.500 Wörtern erfordert einen Gesamtaufwand von mindestens 8 Stunden (und auch das nur, wenn ich zügig daran arbeiten kann). Nach meiner aktuellen Preisliste verrechne ich derzeit 69 Euro pro Stunde. Das ist weniger als jeder Handwerker verlangt und summiert sich zu einem Gesamtaufwand von 552 Euro. Der Schlaumeier von vorhin hätte mir dafür ganze 60 Euro angeboten. Selbst bei einem Wortpreis von 12 Cents - der in der Content-Branche als eine Art Schallmauer gilt - wären es gerade mal 180 Euro.
Das sind doch immerhin 3.600 Euro im Monat und damit kein schlechtes Einkommen, höre ich da schon einige Leute sagen. Aber die wissen eben nicht, wie es mit der Arbeit eines Freelancers tatsächlich aussieht. Unsereins ist nämlich nicht pausenlos Texten und Geld verdienen. In der Praxis kann ein Texter vielleicht die Hälfte seiner Zeit in Rechnung stellen. Den Rest des Tagest bemüht er sich um neue Aufträge, damit das Einkommen nicht abreißt. Er muss sich um all den administrativen Kram kümmern, den vor allem das Finanzamt verlangt. Oder er hat schlicht und einfach nichts zu tun, weil Corona gerade die Wirtschaft lahmlegt oder irgend eine andere Krise bewirkt hat, dass in den Unternehmen die Etats zusammengestrichen wurden und für Kommunikation vorerst kein Geld mehr da ist.
Wobei Sie aus dem obigen Beispiel auch ersehen können, dass es mit dem Schreiben allein bei weitem nicht getan ist. Das Niederschreiben eines Textes ist lediglich der handwerkliche Aspekt eines mehrstufigen Prozesses. Viel wichtiger ist das, was im Kopf des Texters oder Journalisten passiert ist, bevor er auch nur einen Satz in die Tastatur hämmern kann. Entscheidend sind all die kreativen und kognitiven Vorgänge, die erforderlich sind, damit aus einem Gespräch oder einer Sammlung unstrukturierter Informationen ein Text wird, der sich flüssig liest, die entscheidenden Botschaften kommuniziert und dies auch noch auf eine Art und Weise tut, die genau zur anvisierten Zielgruppe passt.
Die Länge des Textes ist dabei völlig zweitrangig. Die einfache Gleichung mehr Wörter mehr Aufwand funktioniert hier nicht. Ganz im Gegenteil. Es kostet weit mehr Zeit, einen komplexen Sachverhalt in wenige, kompakt formulierte Sätze zu gießen, als einen ausladenden Artikel darüber zu schreiben.
Man kann sogar sagen, dass Schreiben nur wenig mit Texten zu tun hat. Schreiben kann man aus der Fülle des Wissens, aus der eigenen Fantasie oder einfach den eigenen Gefühlen heraus. Dabei können die Gedanken frei in die Tasten fließen und den Formulierungen sind keine Grenzen gesetzt. Texten hingegen ist eher ein Konstruieren von Texten. Da muss jeder Satz sitzen, jedes Wort muss gezielt ausgewählt sein und alles muss so ausformuliert sein, dass der Leser nie über eine Formulierung stolpert oder einen Satz zweimal lesen muss, um seinen Sinn zu verstehen.
Oder um es mit den Worten eines bekannten Dichters und Schriftstellers zu sagen: