Künstliches Licht kann munter oder müde machen
Jeder von uns hat eine innere Uhr. Unser Körper signalisiert uns, wenn es Zeit zum Aufstehen ist. Und er lässt uns wissen, wenn es Zeit wird, den Tag zu beenden. Auf Langstrecken-Flügen kommt diese innere Uhr durcheinander und es entsteht das, was wir Jetlag nennen. Doch auch wer seinen Arbeitstag bei künstlichem Licht verbringt, hat manchmal mit Müdigkeit zu kämpfen, obwohl es keinen Grund dafür zu geben scheint.
Dr. Achim Leder hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit diesem Phänomen beschäftigt. Er hat herausgefunden, dass viele Menschen heute bis zu 90 % des Tages bei künstlichem Licht verbringen. Und dass es genau diese Menschen sind, die immer wieder von Müdigkeit befallen werden, ohne sich das erklären zu können. Der Grund dafür ist, dass unser Körper mit künstlichem Licht nicht wirklich umgehen kann. Es bringt unsere innere Uhr durcheinander, verwischt die Grenzen zwischen der aktiven und inaktiven Phase des Tages und bringt unseren natürlichen circadianen Rhythmus aus dem Takt.
Leder hat das zu seinem Lebensthema gemacht und ein Unternehmen gegründet. Das Hamburger Startup Jetlite Technologies nutzt die gesammelten Erkenntnisse aus Disziplinen wie Human Centric Lighting (HCL) und der Chronobiologie. Das Ziel ist die Anpassung künstlicher Beleuchtung an den menschlichen Biorhythmus. Ich durfte mit dem Gründer von Jetlite reden und habe dabei einige interessante Erkenntnisse mitgenommen:
Eine erste Anwendung war ein Beleuchtungskonzept für Passagierflugzeuge, das Jetlite am Hamburger Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Zusammenarbeit mit Airbus entwickelte. Dafür gab es 2017 einen Innovationspreis der Deutschen Luftfahrt. Das Unternehmen nutzte dabei die Erkenntnis, dass rötliches, warmes Licht eher eine beruhigende Wirkung auf unseren Körper hat, während Licht mit hohen Blauanteilen anregend wirkt und unsere Antriebskräfte aktiviert.
Auch moderne Computer-Displays und Betriebssysteme nutzen diese Wirkung. Dabei nimmt die Farbtemperatur des Bildschirms abends eine spürbar wärmere Tönung an als am Tage. Besonders beim Lesen von eBooks, beim Schreiben von eMails oder bei einem abendlichen Streifzug durch die Online-Presse empfinden wir das als angenehm und augenschonend. Es ist in etwa derselbe Effekt wie beim Sonnenuntergang an einem wolkenlosen Abend. Auch hier empfinden wir das zunehmend rötliche, wärmere Licht als äußerst angenehm. Unserem Körper signalisiert es, dass der Tag zu Ende geht und es Zeit wird, allmählich in den Ruhemodus zu schalten.
Was im Flugzeug den natürlichen Lebensrhythmus unterstützt und den Auswirkungen von Jetlag entgegenwirkt, hat auch in der Arbeitswelt seine Vorteile. Wird der Raum mit einem Licht mit erhöhtem Blauanteil beleuchtet, dann signalisiert das den darin arbeitenden Menschen Tageslicht, Helligkeit und Aktivität. Der Körper geht in den aktiven Modus und stellt sich auf Höchstleistungen ein. Gegen Abend hingegen führt der unmerkliche Wechsel zu einer wärmeren Lichttemperatur dazu, dass der Körper allmählich herunterschaltet und sich auf die bevorstehende Entspannungsphase vorbereitet.
Frühere Generationen haben ganz selbstverständlich mit der Lichtsituation gelebt, die uns von der Sonne vorgegeben wird. Als es noch keine Glühbirnen gab, hat man eben einfach das Tageslicht zur Arbeit genutzt und sich nach Einbruch der Dunkelheit ins Haus zurückgezogen, um sich zu entspannen.
Auch Fotografen wissen, dass morgens eine völlig andere Farbtemperatur vorherrscht, als Mittags oder am Abend. Reisefotografen ziehen zum Beispiel die späten Nachmittagsstunden vor, weil hier das Sonnenlicht genau im richtigen Winkel auftrifft, um Konturen herauszuarbeiten und ein Foto erheblich angenehmer, weicher, natürlicher wirkt, als um die Mittagszeit. Unser Körper hat sich im Laufe von zigtausend Jahren auf diesen natürlichen Rhythmus des Sonnenlichts eingestellt und dabei einen Biorhythmus entwickelt, der unsere Aktivität steuert.
Es kann daher nicht der falsche Weg sein, wenn auch Räume mit künstlicher Beleuchtung ganz gezielt an den natürlichen Lichtzyklus der Natur angepasst werden. Forschungen haben ergeben, dass sich damit scheinbar unerklärliche Müdigkeitserscheinungen abmildern lassen, während Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden spürbar verbessert werden.
Es gibt eben immer noch Themen, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Und Geschäftsmodelle, die auf neuen Erkenntnissen aufbauen, um unser aller Leben zu verbessern.