Mein Smartphone bleibt aus. Meistens jedenfalls.
Eigentlich glaubt ja jeder, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Trotzdem schaffen es die allerwenigstens, sich von einem kleinen Gerät freizumachen, das ständig in ihr Leben funkt. Ihr Smartphone ist immer auf Empfang und manchmal hat man das Gefühl, dass in jeder Situation genau der Gesprächspartner am wichtigsten ist, der gerade nicht da ist. Ich halte das für ziemlich nervig. Aber es geht ja auch anders.
Eigentlich zähle ich mich durchaus zu den technikaffinen Menschen. Als die ersten Handys in den Konferenzräumen auftauchten, arbeitete ich gerade bei Nokia und saß damit direkt an der Quelle. Ich zählte daher zu den ersten Menschen im Land, die ein Handy in der Jackentasche mit sich trugen. Das war natürlich seinerzeit unheimlich trendy und alle hielten mich für fürchterlich wichtig. Einer von den Leuten, die rund um die Uhr erreichbar sein müssen.
Sie konnten ja nicht wissen, dass das Ding meist ausgeschaltet war. Ich habe nämlich schon früh ein Naturgesetz bemerkt, das bisher niemand schlüssig erklären konnte: Das Telefon bleibt manchmal stundenlang still. Aber es klingelt immer genau in dem Augenblick, in dem man absolut nicht gestört werden will. Wobei das Mobiltelefon diese Regel nochmals verschärft. Es klingelt nämlich nicht nur zu Hause oder im Büro, sondern auch an der Supermarktkasse, in der Bahn, beim Spaziergang oder abends in der Kneipe. Manchen Leuten gefällt das ja. Ich finde es eher nicht so toll, wenn mir jeder an jedem Ort und zu jeder Zeit ins Leben quatschen kann.
Trotzdem habe auch ich fast immer mein Handy in der Tasche, das natürlich jetzt ein Smartphone ist. Schließlich ist es mittlerweile nicht nur Telefon, sondern auch Adressbuch, Terminkalender, Projektverwaltung, Zeitung, Büchersammlung, Straßenkarte, Busfahrplan, Musikalbum, Fotoapparat, Filmkamera und Bankschalter. So etwas muss der urbane Mann von heute einfach dabei haben. Wenn ich mich wieder mal mit meiner Liebsten verabredet habe und sie mich eine gefühlte Ewigkeit warten lässt, nutze ich die Zeit kurzerhand, um bei Feedly ein paar interessante Artikel zu lesen, einen Blick auf Facebook zu werfen oder mal wieder ein Kapitel in dem Buch zu lesen, das ich mir vor Wochen heruntergeladen habe. Wenn sie dann endlich auftaucht, bin ich nicht genervt, sondern habe die Zeit sinnvoll genutzt und etwas gelesen, für das ich vermutlich sonst nie eine Gelegenheit gefunden hätte.
Jedes Gerät kann man ausschalten
Manche Leute meinen ja, man muss heute ganz einfach überall und jederzeit erreichbar sein. Sie verteilen daher ihre Handynummer an jeden, der sie wissen will und kennen sollte. Und sie kommen eigentlich nie dazu, ihr Handy aus der Hand zu legen, weil ständig einer anruft und am laufenden Band irgendwelche Nachrichten um Aufmerksamkeit piepsen. Also laufen sie telefonierend durch die Einkaufspassage, sitzend tippend im Café und geraten geradezu in Panik, wenn der Akku leer ist.
Mein Leben kennt eigentlich nur zwei Modi: Arbeitszeit und Freizeit. Wobei die Grenzen eher fließend sind und es schon mal passieren kann, dass ich am Sonntag Abend in halbliegender Haltung Buchstaben in meinen Notebook tippe, die man durchaus als Arbeit einordnen könnte. Oder dass ich mir am Mittwoch-Nachmittag erlaube, eine Runde mit dem Rad zu drehen, weil es gerade so schön draußen ist. Schließlich bin ich nicht ohne Grund Freiberufler geworden und habe große Wertschätzung für diese Tatsache. Zum Stichwort "frei" gehört nämlich für mich auch, ganz allein über meine Zeit entscheiden zu können. Und auch selbst darüber zu bestimmen, für wen ich wann wo zu sprechen bin.
Strategie für eine gezielte Erreichbarkeit
Dafür habe ich mich für ein Smartphone mit zwei SIM-Karten entschieden. Die eine wird als "privat" und die andere als "Business" angezeigt. Zu Hause habe ich noch eine Festnetz-Nummer und nur die müssen Sie sich als Kunde merken. Unter der bin ich für Sie zu erreichen und zwar immer nur dann, wenn ich auch Zeit für Sie habe. Meine Privatnummer kennen eigentlich nur die engsten Freunde und Verwandten. Die andere Nummer habe ich selbst nicht im Kopf. Die ist lediglich zu Hause in Telefon einprogrammiert und wird nur dafür benutzt, eingehende Anrufe direkt ins Mobilnetz umzuleiten.
Unterwegs entscheide ich dann von Situation zu Situation, für wen ich erreichbar sein möchte. Sitze ich im Auto, sind beide Kanäle auf Empfang, denn da habe ich ja ohnehin nichts zu tun. Bin ich bei einer Besprechung, im Theater, im Konzert oder in der Oper ist das Handy tot und darf nicht den geringsten Pipes von sich geben. Für alle Situationen dazwischen entscheide ich ganz einfach über meine Erreichbarkeit.
So ein Smartphone ist nämlich ein fantastisches Gerät, das heute wohl niemand mehr missen möchte. Aber es liegt an jedem selbst, ob er sich davon tyrannisieren lässt oder ob er selbst bestimmt, wann er einfach seine Ruhe haben will. Die ist nämlich mittlerweile ein wertvolles Gut geworden.
Vom Statussymbol zum Alltagsgegenstand
Als die ersten Mobiltelefone auftauchten, waren sie natürlich Statussymbole. Ihre Besitzer nahmen sich fürchterlich wichtig und betonten, wie entscheidend es für sie sei, jederzeit erreichbar zu sein. Damals kostete eine Minute mobil telefonieren noch 3 Mark, also umgerechnet rund 1,50 Euro. Dafür konnte man zu Zeiten der Deutschen Bundespost auch nach Amerika telefonieren. Aber das geschah ja von zu Hause aus. Das sah niemand und galt daher als „teuer“. Dafür konnte man sie überall beobachten: die Verkäufer in ihrem Leasing-Passat, die jeden Stau nutzten, um mit irgend jemand zu telefonieren. Oder die Manager, die aus dem Meeting kamen und schon das Handy am Ohr hatten, um sich mitzuteilen.
Mittlerweile ist so ein Handy ein ganz banaler Alltagsgegenstand. Und in Form eines Smartphones kann es weit mehr als telefonieren. Es kann Twitter, Facebook, Internet und Banking. Es hat längst den den Busfahrplan ersetzt, die tägliche Zeitung sowieso, die Wanderkarte in den Bergen und das Navi im Auto. Eigentlich kein Grund mehr, damit anzugeben, denn den Nimbus eines Statussymbols hat das Handy längst verloren.
Dafür hat man manchmal das Gefühl, dass mit dem Handy eine neue Form von Abhängigkeit in unser Leben eingezogen ist. Da mit jederzeit erreichbar ist, trifft man auch keine festen Verabredungen mehr, denn es könnte sich ja zwischenzeitlich etwas Wichtigeres, Interessanteres, Spannenderes ergeben. Man muss auch nicht mehr pünktlich sein, denn es genügt ja eine kurze Nachricht von unterwegs, um den Wartenden noch für eine halbe Stunde zu vertrösten. Währenddessen piepst und vibriert das Ding munter vor sich hin und verlangt ständig nach Aufmerksamkeit.
Erreichbarkeit kann ganz schön nervig sein
Früher haben die Leute in der U-Bahn Zeitung gelesen. Das war recht unbequem, denn so eine Zeitung ist einfach unhandlich. Heute starren sie auf ein 4-Zoll-Display, ganz gleich, ob sie an der Haltestelle warten, im Bus stehen oder über die Straße laufen. Denn, wie gesagt, das Ding piepst ständig und man will schließlich wissen, wer gerade meint, etwas zu sagen zu haben.
Ganz schlimm sind die Dauertelefonierer. Dank Flatrate ist das ja heute kein Kostenfaktor mehr und so bietet es sich eben einfach jederzeit und überall mit jedem zu telefonieren, der gerade nicht da ist. Auch wenn man mit den Kumpels am Stammtisch sitzt, oder gerade damit beschäftigt ist, ein neues Date einzufädeln. Telefonieren ist immer wichtiger und die individuell ausgesuchte Melodie bleibt penetrant in der Wiederholungsschleife, bis die grüne Taste gedrückt wurde. Selbst im Urlaub wird man ständig von den zu Hause gebliebenen Freunden genervt, die ganz sicher gehen wollen, dass man noch lebt.
So manchen erfüllt das ja noch immer mit einem Gefühl der Wichtigkeit. Ich telefoniere, also bin ich gefragt. Ich bin überall erreichbar, also verpasse ich nichts. Ich kann mich jederzeit melden, also bleibe ich in Kontakt.
Doch immer mehr Zeitgenossen geht das quirlige Ding in der Tasche zunehmend auf den Nerv. Denn wer ständig erreichbar sein kann, von dem wird Erreichbarkeit auch erwartet und das hat Folgen: Der Chef kann jederzeit ins Leben funken. Die Freundin will ständig wissen, wo man ist und was man so macht. Die Kids haben den Bus verpasst und wollen abgeholt werden. Die Bank teilt mit, dass gerade die Stromrechnung abgebucht wurde. In der WhatsApp-Gruppe wird gerade über das nächste Treffen diskutiert und bei Tinder, nein lassen wir das …
Dabei ist ja so ein Handy, Smartphone oder was immer durchaus ein Stück Freiheit, auf die man eigentlich nicht mehr verzichten möchte. Der Flieger verspätet sich? Eine Kurznachricht genügt und der Freund muss nicht nicht eine Stunde sinnlos am Flughafen rumstehen und spart obendrein noch die horrenden Parkgebühren. Der Stau scheint noch länger zu dauern? Schnell im Hotel anrufen, damit das Zimmer verfügbar gehalten wird. Der Wagen steht in der Werkstatt? Wir rufen Sie an, wenn sie ihn abholen können.
Doch ein Handy kann auch abhängig machen. Manch einer gerät geradezu in Panik, wenn das Ding streikt, geklaut wurde oder einfach nur der Akku leer ist. Es kann auch echt lästig werden, wenn der Liebste ein Kontrollfreak ist und sie auf Schritt und Tritt überwachen will. Es kann neue Zwänge und Abhängigkeiten erzeugen. Und es kann ganz schön nervig sein, wenn jeder zu jeder Zeit in jede beliebige Situation hinein platzen kann.
Vom Abhängigen zum Chef über die eigene Zeit
Aber das liegt eigentlich nicht am Mobiltelefon selbst, sondern an der Art, wie wir damit umgehen. Denn letztendlich kann jeder selbst entscheiden, wann er wie erreichbar sein will. Jeder kann sich die Freiheit nehmen, sein Gerät auszuschalten, wenn er sich in Ruhe mit jemand unterhalten will, wenn er in einer wichtigen Besprechung sitzt oder wenn er einfach nur ungestört sein will. Anrufe zur falschen Zeit gehen schließlich nicht verloren, sondern werden hinterher angezeigt, sodass man zurückrufen kann, wenn man es für wichtig hält.
Allerdings: Man muss es wollen. Man muss den Willen haben, über seine Erreichbarkeit selbst zu entscheiden. Man muss sich das Recht herausnehmen, die eigenen Zeiten der Ruhe, Konzentration oder Zweisamkeit selbst zu bestimmen. Man muss sein Handy bewusst nutzen und sich nur dann stören lassen, wenn man nichts dagegen hat. Man muss wissen, wo der rote Knopf ist. Oder zumindest der Flugmodus. Denn wer immer und überall erreichbar ist, kann auch schnell zum Sklaven der Anderen werden, die beliebig über die eigene Zeit verfügen und sich indiskret in jede Lebenssituation drängen.
Denn irgendwie ist es doch wie im Büro. Das einfache Angestellten-Volk hat ein Telefon auf dem Schreibtisch, das jederzeit klingeln kann. Der Mitarbeiter kann jederzeit aus seiner Konzentration gerissen, in seinen Gedanken unterbrochen und an seiner effizienten Arbeit gehindert werden. Vom Chef, von den Kunden, von den Kollegen, von der Familie zu Hause, von jedem, der die Nummer kennt. Wer jedoch etwas weiter oben in der Hierarchie steht, hat das Recht, sich abzuschirmen. Ein Hinweis an die Sekretärin genügt und das Telefon bleibt stumm, eMails werden nur einmal am Tag gelesen. Anrufer landen auf der To-do-Liste und werden bei Gelegenheit abgearbeitet. Was wichtig ist, wird selbst entschieden und alles andere bleibt außen vor.
In einer Welt der ständigen Erreichbarkeit ist es also ein wesentliches Stück Freiheit, sich auch mal abschirmen zu können, nicht erreichbar zu sein, andere warten zu lassen. Und es ist ein ganz wesentliches Zeichen für Unabhängigkeit selbst zu entscheiden, wann und wo man für wen zu sprechen ist.