Werde Texter, werde richtig reich
In letzter Zeit sieht man sie wieder häufiger: Facebook-Anzeigen, in denen das große Geld bei minimalem Aufwand versprochen wird. Angeblich kann man ja bei Amazon quasi automatisch unendlich viel Kohle scheffeln. Oder man wird Aktienmillionär und besucht dafür eine Online-Schulung für schlappe tausend Euro. Aber auch Schreiben kann richtig reich machen. Buchstabe für Buchstabe. Einfach so.
Ein Buch zu schreiben ist ja angeblich ganz einfach. Man muss nur ein paar Stunden Lebenszeit investieren und in der Lage sein, sich in ganzen Sätzen auszudrücken. Die Grammatik- und Rechtschreibprüfung ist ja in Word bereits eingebaut. Handwerklich kann also nichts schiefgehen und irgendeine tolle Geschichte hat schließlich jeder im Hinterkopf.
So zumindest lesen sich die Anzeigen in der Social Media-Welt. Das Geld liegt auf der Straße, lautet die Botschaft. Du musst es nur aufheben und es gehört dir. Aber vorher musst du natürlich erst einmal einen Kurs besuchen oder ein E-Book kaufen, in dem alles steht, was du wissen musst, damit das Geld künftig automatisch fließt.
Auch Storytelling ist ein beliebtes Thema. Storytelling ist das, was früher mal die Werbung war und die Werbewelt schreit geradezu nach Leuten, die gute Geschichten erzählen können. Das ist ein Riesenmarkt, will dir der eine oder andere „Insider“ weismachen. Aber man muss natürlich genau wissen, wie es funktioniert und dieses Wissen hat eben seinen Preis.
Vor vielen Jahren habe ich selbst mal ein Buch geschrieben. „Wortreich“ hieß der wortspielerische Titel, ergänzt durch das Versprechen „Als Texter richtig Geld verdienen“. Anlass war die große Krise der Kommunikationsbranche. Damals, kurz nach dem Jahrtausendwechsel, ging die Ära der klassischen Werbeagenturen zu Ende und unzählige Texter saßen auf der Straße. Viele von ihnen versuchten, als Freelancer zu überleben und die meisten von ihnen boten sich zu Preisen an, von denen kein Mensch leben kann. Hier gibt es eine große Wissenslücke, dachte ich mir und genau die wollte ich mit meinem Buch schließen.
Der Inhalt ist zwar mittlerweile überholt, aber seinerzeit hat es sich recht gut verkauft. Vielleicht deshalb, weil es keine heiße Luft enthielt, sondern konkrete Hinweise darüber, was ein Angestellter nicht weiß, ein Freelancer aber wissen sollte. Wie man Preise kalkuliert zum Beispiel. Wie man mit seinen beiden größten Feinden – Finanzamt und Bank – umgehen muss. Und natürlich, wie man es anstellt, neue Kunden zu akquirieren.
Was ich hingegen bei Facebook so lese, spricht eine völlig andere Sprache. Texten könne im Prinzip jeder, heißt es da. Klar doch, schließlich hat jeder ein Notebook, kann zumindest mit vier Fingern schreiben und muss nur noch bei irgendeiner Textbörse andocken und schon wird er von Aufträgen überrollt. Das Ergebnis sind dann fleißige Content-Bienen, die 2 Cents pro Wort für ein gutes Angebot halten und wie am Fließband Texte produzieren, um am Ende nicht mehr Geld zu verdienen, als sie vom Amt auch bekommen würden.
Die Wirklichkeit ist: Schreiben kann fast jeder. Doch Texten ist das noch lange nicht. Texten ist eine recht anspruchsvolle Aufgabe, die in Zeiten der Digitalisierung noch anspruchsvoller geworden ist. Wer Texter sein will, sollte nicht nur in der Lage sein, sich genau so auszudrücken, dass es die Zielgruppe versteht. Er sollte auch wissen, was einen Prospekttext von Webcontent unterscheidet, einen Applikationsbericht von einem PR-Artikel und einen Blogbeitrag von einem White Paper.
Aber das muss ich Ihnen vermutlich nicht erklären.
Dennoch bin ich immer wieder überrascht, wenn mich namhafte Agenturen anschreiben und um ein Angebot für ein größeres Textprojekt bitten. Meist geht es um einen Website-Relaunch. Oder es wird jemand gesucht, der einen Unternehmensblog mit Inhalt füllt, SEO-gerechte Produkttexte schreibt oder eine deutsche Website für den internationalen Markt adaptiert. Überrascht bin ich über Fragen nach meinem Wortpreis und Absagen, weil der angeblich viel zu hoch ist. Dann wird mir klar, dass Werbeagenturen eben Agenturen sind. Es sind Unternehmen, die kreative Leistungen vermitteln und davon leben, dass sie Inhalte möglichst billig einkaufen, um sie dann marktgerecht verkaufen zu können. Da ist dann eben nicht selten der Preis wichtiger als der Inhalt.
Viele Unternehmen sind daher besser dran, wenn sie ihre Kommunikation nicht auf Umwegen beziehen, sondern direkt mit dem Texter zusammenarbeiten. Wenn diese Zusammenarbeit langfristig angelegt ist, kennt der Texter irgendwann das Unternehmen und seine Produkte. Er muss dann nicht mehr aufwendig gebrieft werden, sondern braucht nur ein paar Stichworte und weiß, was er in welcher Form schreiben muss.
Reich wird er damit zwar nicht. Aber er kann ganz gut davon leben.